Alle in einem Boot: Wie Team-Coaching zusammenschweißt

Stellen Sie sich unseren Kapitän aus dem letzten Artikel wieder vor. Er hat den Orkan gemeistert, seine eigene Fassung wiedergefunden und einen klaren Kurs gesetzt, um das Schiff aus der Gefahrenzone zu steuern. Doch als er von der Brücke auf das Deck blickt, sieht er das eigentliche Ausmaß der Herausforderung. Die Mannschaft ist verängstigt und erschöpft. Einige streiten darüber, wessen Fehler die Havarie war. Andere haben sich in ihre Kabinen zurückgezogen und hoffen, der Sturm möge einfach vorübergehen. Wieder andere arbeiten fieberhaft, aber unkoordiniert, und laufen sich gegenseitig über den Weg.

Dieses Bild beschreibt perfekt, was in vielen Unternehmen während einer Krise passiert. Die Führung mag stabil sein, die Notfallpläne stehen – aber das Team, das Herz und die Maschine des Unternehmens, droht auseinanderzubrechen. Eine Krise ist die ultimative Zerreißprobe für jeden sozialen Zusammenhalt. Sie kann das Schlechteste in den Menschen zum Vorschein bringen: Angst führt zu Misstrauen, Druck zu Schuldzuweisungen und Unsicherheit zur Lähmung.

Sie kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken. Sie kann ein Team zu einer verschworenen Gemeinschaft formen, ungeahnte Kräfte freisetzen und eine Kultur des „Wir-Gefühls“ schaffen, die stärker ist als je zuvor.

Der entscheidende Faktor, der über diese beiden Ausgänge entscheidet, ist oft die bewusste Gestaltung der Zusammenarbeit. Genau hier setzt Team-Coaching an. Nachdem wir uns um die Stabilisierung des Unternehmens und die Stärkung der Führung gekümmert haben, widmen wir uns nun der wichtigsten Ressource in jeder Krise: der Mannschaft. In diesem Artikel zeigen wir Ihnen, wie Team-Coaching einen sicheren Hafen schafft, die Mannschaft auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet und die kollektive Intelligenz entfesselt, um das Schiff nicht nur zu retten, sondern es gestärkt weiterfahren zu lassen.

Psychologische Sicherheit als Fundament

Die größte Gefahr für ein Team in der Krise ist die Angst. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz, die Angst, Fehler zu machen, die Angst, kritische Fragen zu stellen. Wenn diese Angst das Klima dominiert, schalten Mitarbeiter in den Überlebensmodus. Sie halten Informationen zurück, um sich abzusichern, sie vermeiden Risiken und sie sagen nicht mehr, was sie wirklich denken. Das Team verliert seine wichtigste Fähigkeit: offen zu kommunizieren und gemeinsam zu lernen.

Ein Team-Coach hat hier die primäre Aufgabe, einen „sicheren Hafen“ zu schaffen – einen Raum, in dem psychologische Sicherheit herrscht. Das bedeutet nicht, dass alles nur noch harmonisch ist. Im Gegenteil: Es bedeutet, dass auch schwierige Themen, Meinungsverschiedenheiten und Sorgen offen angesprochen werden können, ohne dass jemand persönliche Nachteile befürchten muss.

 

Wie etabliert ein Coach diesen sicheren Hafen?

  • Strukturierte Check-ins: Jedes Krisen-Meeting beginnt mit einer kurzen, strukturierten Check-in-Runde. Die Frage lautet nicht „Wie geht’s?“, sondern zum Beispiel: „Mit welcher Emotion startest du in dieses Meeting?“ oder „Was ist deine größte Sorge in Bezug auf unser aktuelles Projekt?“. Jeder antwortet reihum, ohne dass die Antworten kommentiert oder diskutiert werden. Das macht die Emotionen im Raum sichtbar und legitimiert sie. Es signalisiert: Hier darfst du Mensch sein.
  • Etablierung klarer Spielregeln: Der Coach hilft dem Team, sich auf explizite Kommunikationsregeln für die Krisenzeit zu einigen. Diese können lauten: „Wir kritisieren Ideen, nicht Personen“, „Wir hören zu, um zu verstehen, nicht nur, um zu antworten“ oder „Wir gehen davon aus, dass jeder sein Bestes gibt“. Diese einfachen Regeln, oft auf einem Flipchart für alle sichtbar gemacht, werden zum Anker für eine respektvolle Zusammenarbeit, wenn die Wellen hochschlagen.
  • Moderation von „Elefanten im Raum“: Oft gibt es Tabuthemen oder schwelende Konflikte, die jeder kennt, aber niemand anspricht – die „Elefanten im Raum“. Ein Coach hat die Erlaubnis und die Techniken, diese Elefanten sichtbar zu machen. Er könnte fragen: „Was ist das Thema, das wir gerade alle krampfhaft vermeiden?“ oder „Wenn dieser Konflikt zwischen Abteilung A und B eine Stimme hätte, was würde er sagen?“. Das Ansprechen dieser Themen ist oft schmerzhaft, aber immer befreiend. Es reinigt die Luft und setzt die Energie frei, die vorher für das Verdrängen gebunden war.

 

Alle an einem Ruder: Das gemeinsame Ziel definieren

Wenn der Druck steigt, verfallen Teams oft in Silo-Denken. Die Vertriebsabteilung wirft der Produktion vor, nicht schnell genug zu liefern. Die Produktion beschwert sich, dass der Vertrieb unmögliche Aufträge annimmt. Die IT fühlt sich von allen missverstanden. Jeder optimiert seinen eigenen kleinen Bereich und verliert das große Ganze aus den Augen. Das Schiff dreht sich im Kreis, weil alle in unterschiedliche Richtungen rudern.

Ein Team-Coach agiert hier als „Kurs-Justierer“. Seine Aufgabe ist es, dem Team zu helfen, den Blick vom internen Konkurrenzkampf auf den gemeinsamen Feind – die Krise – zu richten und ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel zu definieren.

 

Methoden zur gemeinsamen Ausrichtung:

  • Die „Leuchtturm-Übung“: Der Coach bittet das Team, sich vorzustellen, die Krise sei erfolgreich gemeistert. Es ist ein Jahr später. Dann stellt er die Frage: „Woran genau merken wir, dass wir es geschafft haben? Was ist anders als heute? Was haben wir konkret erreicht?“ Die Antworten werden gesammelt und zu einem klaren, motivierenden Zielbild verdichtet. Dieser „Leuchtturm“ dient als gemeinsamer Orientierungspunkt in allen kommenden Entscheidungen.
  • Definition des „Krisen-Erfolgs“: Erfolg in der Krise bedeutet etwas anderes als in normalen Zeiten. Es geht vielleicht nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Sicherung der Liquidität oder den Erhalt der wichtigsten Kunden. Der Coach moderiert einen Prozess, in dem der Krisenstab gemeinsam die Top 3 Erfolgskriterien für die nächsten 90 Tage definiert. Jede Abteilung muss dann beantworten: „Was ist unser spezifischer Beitrag zu genau diesen drei Zielen?“ Das schafft Klarheit und bricht das Silo-Denken auf.
  • Stakeholder-Mapping: Oft verlieren Teams den Blick für die Außenwelt. Der Coach lässt das Team auf einem Whiteboard alle relevanten Stakeholder aufzeichnen (Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Banken) und fragt: „Was ist die größte Sorge jedes einzelnen Stakeholders gerade? Und was können wir als Team tun, um diese Sorge zu adressieren?“ Diese Übung fördert Empathie und richtet den Fokus auf den externen Nutzen der eigenen Arbeit.

 

Die kollektive Intelligenz entfesseln: Vom Problem zur Lösung

In Krisen steckt oft mehr Lösungspotenzial im Team, als die Führungskraft ahnt. Die Mitarbeiter an der Front – im Kundenservice, in der Produktion, im Vertrieb – sehen oft viel früher, wo die eigentlichen Probleme liegen und welche pragmatischen Lösungen funktionieren könnten. Doch in einer panischen, von oben nach unten gesteuerten Krisenreaktion geht diese kollektive Intelligenz oft verloren.

Ein Team-Coach ist ein Katalysator für diese Intelligenz. Er implementiert Strukturen und Methoden, die es dem Team ermöglichen, sich selbst zu organisieren, Probleme kreativ zu lösen und Verantwortung zu übernehmen.

 

Werkzeuge zur Aktivierung des Teams:

  • Das Krisen-Kanban-Board: Statt undurchsichtiger To-do-Listen etabliert der Coach ein einfaches, visuelles Board (physisch oder digital) mit drei Spalten: „Zu tun“, „In Arbeit“, „Erledigt“. Alle relevanten Aufgaben zur Krisenbewältigung werden auf Karten geschrieben und sind für alle sichtbar. Das schafft maximale Transparenz, verhindert Doppelarbeit und gibt dem Team ein Gefühl des Fortschritts, wenn Karten von links nach rechts wandern.
  • Das tägliche Stand-up-Meeting: Anstelle langer, ineffizienter Sitzungen führt der Coach ein tägliches, 15-minütiges Stand-up-Meeting ein. Jeder im Team beantwortet reihum drei Fragen: „Was habe ich gestern zur Krisenbewältigung beigetragen?“, „Was werde ich heute tun?“ und „Wo stecke ich fest oder brauche Hilfe?“. Dieses Format fördert die Selbstverpflichtung und macht Hindernisse sofort sichtbar, sodass sie gemeinsam aus dem Weg geräumt werden können.
  • Lösungsorientierte Fragetechniken: Anstatt endlos über das Problem zu diskutieren („Warum ist das passiert?“), lenkt der Coach den Fokus auf Lösungen. Er nutzt Fragen wie: „Angenommen, eine gute Fee würde uns eine Lösung schenken – wie würde die aussehen?“, „Auf einer Skala von 1 bis 10, wie zuversichtlich sind wir, das zu schaffen? Was bräuchten wir, um von einer 5 auf eine 6 zu kommen?“ Diese Fragen brechen festgefahrene Denkmuster auf und aktivieren den kreativen Teil des Gehirns.

 

Praxistipp: Der wöchentliche „WIR-Check-in“ für Ihr Team

Sie müssen kein Coach sein, um Ihrem Team mehr Struktur und Sicherheit zu geben. Etablieren Sie dieses 30-minütige Meeting einmal pro Woche.

WWahrnehmung (10 Min.): Starten Sie mit einer Check-in-Runde. Jeder im Team vervollständigt den Satz: „Mein persönliches Highlight der letzten Woche war … und meine größte Herausforderung war …“. Reihum, ohne Diskussion. Das schafft eine persönliche Verbindung.

IInformation (5 Min.): Die Führungskraft gibt ein kurzes, ehrliches und faktenbasiertes Update zur Gesamtsituation. Keine Beschönigungen, keine langen Monologe. Nur die wichtigsten Fakten, die das Team für seine Arbeit braucht.

RRessourcen & Richtung (15 Min.): Stellen Sie als Team gemeinsam die Frage: „Was ist die EINE wichtigste Sache, die wir als Team in der kommenden Woche erreichen müssen, um voranzukommen?“ Definieren Sie dieses Ziel gemeinsam und halten Sie es sichtbar fest. Das schafft Fokus und bündelt die Energie.

 

Fazit

 

 

Fazit: Mehr als die Summe seiner Teile

Ein Kapitän kann den Kurs vorgeben, aber er kann das Schiff nicht allein rudern. Ein Unternehmen in der Krise wird nicht von einer einzelnen Person gerettet, sondern von der gemeinsamen Anstrengung vieler. Team-Coaching stellt sicher, dass diese Anstrengung nicht im Chaos verpufft, sondern zu einer kraftvollen, gemeinsamen Bewegung wird.

Es verwandelt eine Gruppe verängstigter Individuen in eine widerstandsfähige Crew. Es macht aus Schuldzuweisungen gemeinsame Problemlösungen und aus lähmender Unsicherheit fokussiertes Handeln. Ein Team, das eine Krise auf diese Weise gemeinsam durchgestanden hat, ist danach nicht mehr dasselbe. Es ist resilienter, vertrauensvoller und leistungsfähiger als je zuvor. Die Krise wird so, im Nachhinein betrachtet, zu einem wertvollen Katalysator für die Teamentwicklung.

Doch selbst das best-eingespielte Team braucht eine klare und konsistente Stimme, um Vertrauen zu schaffen – sowohl nach innen als auch nach außen. Wie kommuniziert man harte Wahrheiten, ohne Panik auszulösen? Wie hält man Kunden und Partner bei Laune, wenn die Lage angespannt ist?

Genau diese entscheidende Fähigkeit beleuchten wir in unserem nächsten Artikel: „Kommunikation in der Krise“. Bleiben Sie dran.

 

Dr. Michael Monka ist externer Lead Auditor des TÜV Rheinland für die ISO 27001 und KRITIS.

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