Führen, wenn es stürmt: Einen Coach an ihrer Seite haben
Stellen Sie sich jetzt den Kapitän eines Schiffes in einem schweren Orkan vor. Seine Mannschaft blickt zu ihm auf, verunsichert, manche mit Hoffnung. Sie erwarten von ihm klare Befehle, eine ruhige Hand am Steuerrad und die unerschütterliche Zuversicht, dass er sie sicher durch den Sturm navigieren wird. Was die Mannschaft aber nicht sieht, ist der Kapitän allein auf der dunklen Brücke in der Nacht. Der Moment, in dem er auf die peitschenden Wellen blickt und sich selbst fragt: Ist mein Kurs der richtige? Halten wir das durch? Was, wenn ich einen Fehler mache?
Genau diese Zerrissenheit erleben Führungskräfte in einer Unternehmenskrise. Nach außen müssen sie der Fels in der Brandung sein, doch innerlich kämpfen sie mit denselben Unsicherheiten, Ängsten und dem enormen Druck wie alle anderen – oft sogar noch stärker. Sie tragen die Verantwortung nicht nur für Prozesse und Zahlen, sondern für die Existenzen und das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter. Sie müssen harte, unpopuläre Entscheidungen treffen und gleichzeitig als „Chief Empathy Officer“ für ihr Team da sein.
In den ersten beiden Artikeln unserer Serie haben wir gelernt, eine Krise zu erkennen und durch Erste-Hilfe-Maßnahmen das Unternehmen zu stabilisieren. Doch die beste Stabilisierung nützt nichts, wenn die Brücke führungslos wird. Deshalb widmen wir uns heute dem Herzstück des Krisenmanagements: dem Coaching für die Führungskräfte selbst. Wir beleuchten, warum ein Coach in diesen Zeiten kein Luxus, sondern ein überlebenswichtiges Navigationsinstrument ist, das den Kapitänen hilft, auf Kurs zu bleiben, souverän zu entscheiden und ihre eigene Kraft zu bewahren.
Fels in der Brandung sein: Selbstreflexion und mentale Stärke
In der Krise wird die wahre Substanz einer Führungskraft sichtbar. Es geht nicht mehr um glänzende Präsentationen oder strategische Weitsicht für die nächsten fünf Jahre. Es geht um Präsenz, Glaubwürdigkeit und die Fähigkeit, selbst unter extremem Druck ruhig und handlungsfähig zu bleiben. Diese mentale Stärke ist keine angeborene Eigenschaft, sondern das Ergebnis bewusster Selbstreflexion und mentaler Arbeit.
Ein Coach ist der Sparringspartner für genau diese Arbeit. Er schafft einen absolut vertraulichen Raum, in dem eine Führungskraft die Maske der Unfehlbarkeit ablegen kann. Hier dürfen Zweifel geäußert, Frustrationen benannt und Szenarien durchdacht werden, die man niemals vor dem eigenen Team diskutieren würde.
Wie hilft Coaching konkret, diese innere Stärke aufzubauen?
- Vom Opfer zum Gestalter: In einer Krise fühlt man sich oft fremdgesteuert und den Umständen ausgeliefert. Ein Coach hilft durch gezielte Fragen, den Fokus wieder auf den eigenen Handlungsspielraum zu lenken. Die Frage wechselt von „Warum passiert uns das?“ zu „Was können wir jetzt tun, um die Situation zu beeinflussen?“. Dieser Perspektivwechsel ist entscheidend, um aus einer passiven Opferhaltung in eine aktive Gestalterrolle zu kommen.
- Authentizität statt Schauspiel: Mitarbeiter haben feine Antennen dafür, ob die Zuversicht einer Führungskraft echt ist oder nur aufgesetzt. Eine aufgesetzte „Alles-wird-gut“-Rhetorik zerstört Vertrauen. Ein Coach hilft der Führungskraft, eine Haltung zu finden, die sowohl realistisch als auch hoffnungsvoll ist. Es geht darum, die ernste Lage anzuerkennen und gleichzeitig eine klare Vision für den Weg hindurch zu vermitteln. Authentische Führung bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern trotz der Angst verantwortungsvoll zu handeln.
- Werte als innerer Kompass: Wenn äußere Strukturen wegbrechen, geben innere Werte Halt. In der Hektik der Krise vergisst man oft, worauf es wirklich ankommt. Ein Coach erinnert die Führungskraft an ihre persönlichen und die Unternehmenswerte. Ist unser Handeln noch im Einklang mit dem, wofür wir stehen? Behandeln wir unsere Mitarbeiter auch bei harten Einschnitten fair und respektvoll? Diese Rückbesinnung auf die eigenen Werte gibt den Entscheidungen eine tiefere Legitimation und der Führungskraft einen stabilen inneren Kompass.
Souverän entscheiden: Der Umgang mit radikaler Unsicherheit
Eine der größten Belastungen für Führungskräfte in der Krise ist die Notwendigkeit, weitreichende Entscheidungen auf Basis unvollständiger, sich ständig ändernder Informationen treffen zu müssen. Der Luxus einer monatelangen Analyse existiert nicht. Zögern kann fatal sein, aber eine falsche Entscheidung ebenso.
Dieser Druck führt oft zu zwei Extremen: entweder zu einer Entscheidungsparalyse, bei der aus Angst vor Fehlern gar nichts mehr passiert, oder zu blindem Aktionismus, bei dem Entscheidungen überstürzt und ohne ausreichende Reflexion getroffen werden.
Ein Coach fungiert hier als externer „Entscheidungs-Validierer“. Er trifft keine Entscheidungen für die Führungskraft, aber er strukturiert und verbessert den Denkprozess, der zur Entscheidung führt.
- Optionen sichtbar machen: Unter Druck verengt sich unser Blickfeld oft auf eine einzige „Alternativlos“-Lösung. Der Coach weitet diesen Blick wieder, indem er fragt: „Was wäre, wenn diese Option nicht möglich wäre? Welche anderen Wege gäbe es dann? Welche verrückte Idee haben wir noch nicht zu Ende gedacht?“ So entstehen oft kreative Lösungsansätze, die im Tunnelblick der Krise übersehen wurden.
- Konsequenzen durchspielen: Der Coach agiert als eine Art Simulator. Er spielt die verschiedenen Optionen und ihre möglichen Konsequenzen durch: „Angenommen, wir entscheiden uns für Weg A. Wie werden die Mitarbeiter reagieren? Was werden unsere Kunden tun? Welches neue Problem könnte dadurch entstehen?“ Dieses gedankliche Durchspielen hilft, blinde Flecken aufzudecken und die Entscheidung robuster zu machen.
- Die „gute-genug“-Entscheidung: In der Krise gibt es selten die perfekte Lösung. Es geht darum, die bestmögliche Entscheidung unter den gegebenen Umständen zu treffen. Ein Coach hilft der Führungskraft, den Anspruch auf Perfektion loszulassen und sich mit einer „guten-genug“-Entscheidung zufriedenzugeben, die schnelles Handeln ermöglicht. Es ist besser, einen Kurs zu 80% richtig zu setzen und später nachzujustieren, als wochenlang auf die 100%-Lösung zu warten, während das Schiff sinkt.
Seine Energie managen: Selbstfürsorge als Führungsaufgabe
Führungskräfte sind der emotionale Motor des Unternehmens in der Krise. Wenn dieser Motor stottert oder ausfällt, kommt alles zum Stillstand. Viele Leader machen in Krisenzeiten den Fehler, sich selbst komplett aufzugeben. Sie arbeiten rund um die Uhr, überspringen Mahlzeiten, schlafen kaum noch und vernachlässigen ihr Privatleben. Sie glauben, sie müssten sich für die Firma opfern.
Das ist nicht nur ungesund, sondern auch eine schlechte Strategie. Eine erschöpfte, ausgebrannte Führungskraft trifft schlechtere Entscheidungen, ist weniger empathisch und verliert die Fähigkeit, andere zu inspirieren. Selbstfürsorge ist daher keine egoistische Nebensache, sondern eine zentrale Führungsaufgabe.
Ein Coach ist oft der Einzige, der die Erlaubnis hat, die Führungskraft an diese Verantwortung für sich selbst zu erinnern.
- Energieräuber und Energiequellen identifizieren: Gemeinsam mit dem Coach erstellt die Führungskraft eine Art persönliche Energiebilanz. Welche Tätigkeiten und Interaktionen rauben mir Kraft? Was gibt mir Energie, selbst wenn es nur für wenige Minuten ist? Das Bewusstsein dafür ist der erste Schritt, um die eigenen Ressourcen gezielt zu steuern.
- Mikro-Pausen und Rituale etablieren: Niemand hat in einer Krise Zeit für einen dreiwöchigen Urlaub. Aber jeder hat Zeit für 30 Sekunden. Der Coach hilft, winzige, aber wirksame Rituale im Alltag zu verankern: die bewusste Tasse Kaffee am Morgen ohne E-Mails, ein kurzer Spaziergang um den Block zur Mittagszeit, die bewusste Entscheidung, das Handy eine Stunde vor dem Schlafengehen wegzulegen oder die im letzten Artikel beschriebene Box-Atmung. Diese Mikro-Pausen sind die Ladestationen für den mentalen Akku.
Grenzen setzen lernen: In der Krise verschwimmen alle Grenzen. Jeder erwartet sofortige Verfügbarkeit. Ein Coach unterstützt die Führungskraft dabei, gesunde Grenzen zu setzen – gegenüber den Erwartungen anderer, aber auch gegenüber dem eigenen inneren Antreiber. Das kann bedeuten, klar zu kommunizieren: „Ich bin bis 20 Uhr erreichbar, danach gehört die Zeit meiner Familie.“ Ein solcher Satz ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von nachhaltiger Stärke
Praxistipp: Die „Drei-Fragen-Methode“
Nehmen Sie sich am Ende jedes Arbeitstages fünf Minuten Zeit, um den Tag bewusst abzuschließen und den Kopf für den Abend freizubekommen. Beantworten Sie für sich schriftlich oder gedanklich diese drei Fragen:
- Was war heute mein größter Erfolg? (Das kann auch ein kleiner Schritt sein, z.B. ein klärendes Gespräch oder eine gut getroffene Entscheidung). Das trainiert den Fokus auf das Positive.
- Was habe ich heute gelernt? (Über die Krise, über mein Team, über mich selbst). Das fördert eine Haltung des kontinuierlichen Lernens.
- Was lasse ich jetzt bewusst los, um morgen wieder kraftvoll zu sein? (Ein ärgerliches Telefonat, eine ungelöste Frage, eine Sorge). Das hilft, mental abzuschalten und nicht alle Probleme mit in den Schlaf zu nehmen.
Fazit: Eine Investition, die sich hundertfach auszahlt
Ein Schiff im Sturm braucht einen klaren, ruhigen und entscheidungsfähigen Kapitän. Ein Unternehmen in der Krise braucht genau die gleiche Art von Führung. Systemisches Coaching ist eine professionelle Unterstützung, die sicherstellt, dass die Leader dieser immensen Verantwortung gewachsen sind.
Es bietet den geschützten Raum für Reflexion, den klaren Spiegel für bessere Entscheidungen und die notwendigen Impulse für den Erhalt der eigenen Kraft. Eine Investition in das Coaching der Führungskräfte ist daher niemals nur eine Investition in eine einzelne Person. Es ist die wirksamste Investition in die Stabilität, die Moral und die Zukunftsfähigkeit des gesamten Unternehmens.
Nachdem wir nun die Brücke gestärkt haben, müssen wir uns im nächsten Schritt der Mannschaft zuwenden. Denn auch das beste Schiff mit dem besten Kapitän ist verloren, wenn die Crew nicht an einem Strang zieht. Deshalb beleuchten wir in unserem nächsten Artikel das Thema „Team-Coaching“. Bleiben Sie dran.

